Das ICH hat eine hieroglyphistische Kraft
 
zu den Arbeiten von Waltraud Funk
 
 
 
Crièr, beispielsweise, Linde und Spiegel, entstanden im Sommer 1986. Ein geöffneter Mund, ein Maul, voll mit Zähnen spitzer Spiegelsplitter. Assoziationen drängen sich auf - Aggression, aber auch Verletzbarkeit, Angriff, doch ebenso Schutz. Ein waidwunder Schrei?
 
All das stimmt und scheint doch nicht zu "passen": das ist die Erfahrung, die sich mir bei Betrachtung der plastischen Arbeiten von Waltraud Funk immer wieder eröffnet. Sie fordern unmittelbar Deutungsversuche heraus, doch die Erklärungen laufen schnell ins Leere, ins Bildlose - die Symbolik der Skulpturen wirkt nie bildhaft fixiert, die Unabgeschlossenheit ihres Was - seins ist gestaltendes Prinzip. 
Doch kein Vacuum, in das der betrachtende Blick abgleitet, bleibt ihm doch - bar jedes zureichenden Verstehens auf sich selbst zurückgeworfen - die Bewegung des eigenen Blickens, und damit: Freisetzung der ganz konkreten Realität eigener, subjektiver Wahrnehmungsräume.
 
 Doch es ist nackte Subjektivität, da sie der Sicherheit der deutenden Begriffe entbehrt. Hier fangen ihre Skulpturen an, fester Wegweiser für den Verlauf der inneren Bewegungen des Betrachters zu werden, hier setzt eine Kommunikation ein, die wesentlich unmittelbare Konfrontation mit mir selbst ist. 
 
Dies ist der Raum, auf den auch die Zeichnungen Funks zulaufen, doch von der entgegengesetzten Richtung her. Ihr spröder, Bildlichkeit stark reduzierender Verlauf wirkt wie genaue, direkte Wiedergabe konzentrierter Empfindungen, die sich gegen jede Übersetzbarkeit sperrt. Doch legen sie Korrespondenz - Wege zum eigenen Wahrnehmen und Fühlen frei, thematisieren das Grenzland zwischen dem noch Verstehen und dem schon - nicht - mehr - mit teilen- können. Linie, die hier in Bewegung umschlägt, Bewegung, dort, in der Skulptur, die festes Zeichen wird:
 
 Waltraud Funks bildhauerische Arbeiten und Zeichnungen sind hierin so zuverlässig und in ihrer Nachspürbarkeit so unmittelbar sinnlich wie eine Blindenschrift.
 
 
Text_Maximilian Endres, Berlin